Abschied
Weißt, was mir träumte?
Wir nahmen Abschied
fürs Leben.
Deine Arme
umschlangen mich
und deine Lippen brannten
und bebten ...
Brannten und bebten Verheißung.
Einer Nacht,
einer chaotischen Nacht ...
Irgendwo ...
Irgendwann ...
Vielleicht nicht einmal
auf dieser Erde ...
Auf einem Stern vielleicht,
da Unschuld noch
in innerster Freiheit
nimmt und gibt
wie es sie drängt.
Und ich zog dich
enger an mich
und küsste dich inniger.
Dann endlich
löstest du langsam
die lieben Arme
und schürztest dein Haar
in den strengen Knoten zurück
Ich legte den Mantel dir
um die Schultern.
Die Tür fiel zu.
Und drunten im Schnee
lief eine schmale Spur
magdlicher Stapfen
hinaus,
weit, weit
in die mondhelle,
einsame Nacht.
Christian Morgenstern (1871 - 1914)
Das richtige Wort
Nicht Schlafen mit dir
nein: Wachsein mit dir
ist das Wort
das die Küsse küssen kommt
und das das Streicheln streichelt
und das unser Einatmen atmet
aus deinem Schoß
und aus deinen Achselhöhlen
in meinen Mund
und aus meinem Mund
und aus meinem Haar
zwischen deine Lippen
und das uns die Sprache gibt
von dir für mich
und von mir für dich
eines dem anderen verständlicher
als alles
Wachsein mit dir
das ist die endliche Nähe
das Sichaneinanderfügen
der endlosen Hoffnungen
durch das wir einander kennen
Wachsein mit dir
und dann
einschlafen mit dir
Erich Fried (1921 - 1988)
Dass du mich liebst
Dass Du mich liebst, das wusst' ich,
ich hatt' es längst entdeckt;
doch als du mir's gestanden,
hat es mich tief erschreckt.
Ich stieg wohl auf die Berge
und jubelte und sang;
ich ging ans Meer und weinte
beim Sonnenuntergang.
Mein Herz ist wie die Sonne
so flammend anzuseh'n,
und in ein Meer von Liebe
versinkt es groß und schön.
Heinrich Heine (1797 - 1856)
Diese Rose
Diese Rose von Küssen schwer.
Sieh, das ist uns're Liebe.
Uns're Hände reichen sie hin und her,
uns're Lippen bedecken sie mehr und mehr
mit Worten und Küssen sehnsuchtsschwer,
uns're Seelen grüßen sich hin und her -
wie über ein Meer - wie über ein Meer -
die Rose vom Duft uns'rer Seelen schwer:
Sieh, das ist uns're Liebe.
Christian Morgenstern (1871 - 1914)
Endlich bist du da
Wie hab ich gewartet.
Ich hab die Tage gezählt,
an denen ich früher schlafen ging als sonst.
Um die Nächte schneller zu beenden
und den nächsten Tag zu erwarten,
der dich mir näher bringt.
Und ich hab die Stunden gezählt,
die uns noch trennten.
Die Stunden, in denen ich allein war,
ohne dich.
Wie oft hab ich an dich gedacht
und an unser kurzes Zusammensein.
Wenn es auch nur ein paar Tage sind,
wir werden sie nutzen.
Wenn es auch nur ein paar Stunden sind,
wir werden sie gemeinsam verbringen.
Du wirst bei mir sein
und ich werde deine Zärtlichkeit spüren
und mich bei dir geborgen fühlen können.
An die nächste Trennung werde ich
noch nicht denken.
Ich bin glücklich.
Denn endlich bist du da.
(Sandra)
Es ist Nacht
Es ist Nacht und mein Herz kommt zu dir,
hält's nicht aus, hält's nicht aus mehr bei mir.
Legt sich dir auf die Brust, wie ein Stein,
sinkt hinein, zu dem deinen hinein.
Dort erst, dort erst kommt es zur Ruh',
liegt am Grund seines ewigen Du.
Christian Morgenstern (1871 - 1914)
Ich liebe dich
Ich liebe dich, weil ich dich lieben muss;
ich liebe dich, weil ich nicht anders kann;
ich liebe dich nach einem Himmelsschluss;
ich liebe dich durch einen Zauberbann.
Dich liebe ich, wie die Rose ihren Strauch;
Dich liebe ich, wie die Sonne ihren Schein;
Dich liebe ich, weil du bist mein Lebenshauch;
Dich liebe ich, weil dich lieben ist mein Sein.
Friedrich Rückert (1788 - 1866)
Ich wand
Ich wand ein Sträußlein morgens früh,
das ich der Liebsten schickte;
nicht ließ ich sagen ihr von wem
und wer die Blumen pflückte.
Doch als ich abends kam zum Tanz
und tat verstohlen und sachte,
da trug sie die Nelken am Busenlatz
und schaute mich an und lachte.
Theodor Storm (1817 - 1888)
Aus Liebe leben heißt: nicht kargen, messen,
begehren Lohn für treu erfüllte Pflicht.
So sollst du geben und dich selbst vergessen,
wer liebt, der gibt und zählt und rechnet nicht.
Zu wissen, dass ich in deinem Herzen,
zu wissen, dass ich in deinen Gedanken
zu wissen, dass ich in deinem Leben
nicht gänzlich unbedeutend bin,
macht mich glücklich.
Müde
Ich bin so müde,
dass der Schlaf
die dunklen Jalousien
langsam senkt.
Ich atme Stille;
nichts denkt
mein Hirn mehr.
Ich suche in mir selbst
nach mir.
Und ich begegne dir.
Nähe des Geliebten
Ich denke Dein, wenn mir der Sonne Schimmer
vom Meere strahlt;
Ich denke dein, wenn sich des Mondes Flimmer
in Quellen malt.
Ich sehe Dich, wenn auf dem fernen Wege
der Staub sich hebt;
In tiefer Nacht, wenn auf dem schmalen Stege
der Wanderer bebt.
Ich höre Dich, wenn dort mit dumpfen Rauschen
die Welle steigt;
Im stillen Haine geh ich oft zu lauschen,
wenn alles schweigt.
Ich bin bei Dir; Du seist auch noch so ferne,
Du bist mir nah!
Die Sonne sinkt,
bald leuchten mir die Sterne, o wärst Du da!
Johann Wolfgang von Goethe (1749 - 1832)
Nur so
"Wenn ich mich zeige, so wie ich bin,
wenn ich dich sehe, so wie du bist,
passen wir vielleicht gar nicht zusammen,
so wie wir sind", sagte der Zweifel.
"Nur wenn ich dich nehme, so wie du bist,
nur wenn ich mich gebe, so wie ich bin,
können wir uns nahe sein,
so wie wir sind", sagte die Liebe.
Rosen
Ach, gestern hat er mir Rosen gebracht,
sie haben gedufet die ganze Nacht,
für ihn geworben, der meiner denkt -
da hab' ich den Traum der Nacht ihm geschenkt.
Und heute geh' ich und lächle stumm,
trag' seine Rosen mit mir herum
und warte und lausche, und geht die Tür,
so zittert mein Herz: Ach, käm er zu mir!
Und küsse die Rosen, die er gebracht,
und gehe und suche den Traum der Nacht ...
Thekla Lingen (1866 - 1931)
Sehnsucht
Wenn ich ein Vöglein wär'
und auch zwei Flügel hätt',
flög' ich zu dir;
weil's aber nicht kann sein,
bleib ich allhier.
Bin ich gleich weit von dir,
bin doch im Traum bei dir
und red' mit dir;
wenn ich erwachen tu,
bin ich allein.
Es vergehet keine Stund' der Nacht,
da nicht mein Herz erwacht
und an dich denkt,
wie du mir vieltausendmal
dein Herz geschenkt.
Volkslied
Wie soll ich
Wie soll ich meine Seele halten, dass
sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie
hinheben über dich zu andern Dingen?
Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas
Verlorenem im Dunkel unterbringen
an einer fremden stillen Stelle, die
nicht weiterschwingt, wenn deine Tiefen schwingen.
Doch alles, was uns anrührt, dich und mich,
nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich,
der aus zwei Saiten eine Stimme zieht.
Auf welches Instrument sind wir gespannt?
Und welcher Geiger hat uns in der Hand?
O süßes Lied
Rainer Maria Rilke (1875 - 1926)
Zärtlichkeit
Der blaue und der weiße Flieder
umduftet unsere Laubenbucht,
Goldregen pendelt auf uns nieder
der blütenschweren Zweige Wucht.
Viele weiße Schmetterlinge fliegen,
der Spötter singt im Rosendorn,
ganz langsam sich die Zweige wiegen.
Ein warmer Wind geht über das Korn.
Die Sonne spielt auf deinen Händen,
die lässig ruh'n auf deinem Kleid,
mein Blick will sich davon nicht wenden,
mein Herz denkt lauter Zärtlichkeit.
Hermann Löns (1866 - 1914)